Dörfer wehren sich gegen Soja-Konzern

Von Christina Schröder · · 2023/Mai-Jun
Die Menschen, die seit Generationen im Ort Cacimbinha und den Nachbargemeinden wohnen, haben nie Eigentumstitel für ihr Land bekommen. © Christina Schröder / SWM

Der extensive Anbau von Soja, allen voran für die Tierfutterherstellung, bedroht in Brasilien Lebensräume. 32 Familien konnten sich aber nach einem jahrelangen Kampf gegen ein Soja-Unternehmen behaupten.

Wie ein grünes Meer erstreckt sich der Cerrado über fast zwei Mio. Quadratkilometer: über elf brasilianische Bundesstaaten bis nach Bolivien und Paraguay. Er ist die artenreichste Savanne der Welt und neben dem Amazonas das wichtigste Ökosystem sowie einer der größten Wasserspeicher Brasiliens. Die Grundwasservorkommen sind enorm, sie speisen die Oberläufe vieler Flüsse. Fast die Hälfte des Cerrado hat die Agrarindustrie mittlerweile mit Cashcrops wie Baumwolle, Mais und Soja übersät.

Im Bezirk Formosa do Rio Preto, im Nordwesten des Bundestaates Bahia, ist das Unternehmen Condomínio Cachoeira do Estrondo, kurz Estrondo ansässig, das aktuell aus 14 Farmen besteht. Seit Mitte der 1990er werden hier Monokulturen bewirtschaftet; heute bereits auf einer Fläche von über 220.000 Hektar, das entspricht fast ebenso vielen Fußballfeldern.

© SWM / NordNordWest / CC BY-SA 3.0 / commons.wikimedia.org

Einen Platz mit zwei Toren zum Fußballspielen gibt es auch in der kleinen Gemeinde Cacimbinha, die nur über holprige Pisten aus roter Erde erreichbar ist. Vier Stunden dauert die Fahrt bis zum nächsten Krankenhaus in der Bezirkshauptstadt Formosa.

Weiden im Wald. Cacimbinha ist eine von sieben Gemeinden, die von Siedler:innen vor 150 Jahren in einem Tal entlang der bewaldeten Flussufer des Rio Preto gegründet wurde. 32 Familien sind es heute noch. Sie leben von kleinbäuerlichem Lebensmittelanbau und ihren Rindern, die sie zum Weiden in tagelangen Märschen durch die Wälder treiben. Dabei wird das sensible Ökosystem nicht gestört, denn was die Tiere fressen, wächst alles wieder nach. Nichts wird gerodet.

Doch um das Tal hat sich in den in den vergangenen 30 Jahren ein Gürtel aus Sojaplantagen der Firma Estrondo ausgebreitet – mit zerstörerischen Folgen, für Lebewesen und Umwelt.

Isaltina Guedes da Silva Gomes © Christina Schroeder / SWM

„Vor dem Soja-Boom war das Leben hier ruhig, die Menschen kannten keine Angst, außer der vor den wilden Tieren, aber nicht vor dem wildesten, dem Menschen. Unser Leben war so viel besser“, sagt die 44-jährige Isaltina Guedes da Silva Gomes, die aus der Gegend stammt und heute als Community Nurse, also mobile Erstversorgerin bei Krankheitsfragen und für Vorsorgeuntersuchungen, in den Gemeinden unterwegs ist. Oft klagen die Bewohner:innen über Vergiftungssymptome. „Ich kann die Zusammenhänge nicht beweisen, aber das kommt vor allem vor, wenn Flugzeuge das Gift – es ist Glyphosat – auf die Soja-Pflanzen spritzen. Damit kommen wir auch über das Trinkwasser aus unseren Quellen in Kontakt“, berichtet sie.

Soja für die ganze Welt  

Der Soja-Anbau im Cerrado begann in den 2000er Jahren. Zu einem Boom kam es nach einem Abholzungsstopp für Soja im Amazonas: Die Sojabohnenanbaufläche stieg im Cerrado von 7,5 Millionen Hektar in der Erntesaison 2000/2001 auf 20 Mio. im Jahr 2020/2021. Da erreichte die Sojabohnenernte einen Höchststand: In ganz Brasilien wurden auf ca. 39 Mio. Hektar rund 138 Mio. Tonnen geerntet. Der Sojakomplex, der den Handel mit Bohnen, Öl und Sojaschrot zur Herstellung von Futter für Rinder, Geflügel und Schweine umfasst, ist das wichtigste Produkt auf der brasilianischen Exportliste.  

Die größten Abnehmer 2021 waren China und die Europäische Union. Prognosen zufolge wird Brasilien 2035 insgesamt 191 Mio. Tonnen Sojabohnen produzieren, davon über zwei Drittel für den Export.  cs

Zehn Jahre Angst. Mit der Angst meint da Silva Gomes die vor massiven Bedrohungen und versuchten Vertreibungen durch Großgrundbesitzer:innen – zehn Jahre lang.

Die Hintergründe: Eigentumstitel für ihr Land haben die Menschen hier, die sich Geraizeiros nennen, wie viele andere Siedler:innen, Indigene und Nachfahren von Sklav:innen in Brasilien nie bekommen.

Im Nordosten sind 80 Prozent des Landes das Eigentum von 10 Prozent aller Landbesitzer:innen. Laut dem brasilianischen Waldschutzgesetz müssen im Cerrado 20 Prozent des privaten Großgrundbesitzes als Naturreservat erhalten bleiben.

Estrondo hatte sich zunächst das Land der Menschen im Tal einverleibt und es als sein Naturreservat deklariert. Dann wurde im Laufe der Jahre ein Drittel der Gründe abgeholzt, vor allem für die Soja-Plantagen – auch unerlaubterweise.

Nachdem die Staatsanwaltschaft wegen einiger Umweltdelikte Anklage erhoben hatte, willigte Estrondo ein, soziale und ökologische Kompensationen zu leisten, u. a. die Anerkennung der territorialen Autonomie der Geraizeiros. Im Gegenzug wurden die Anklagen fallen gelassen. Das war im Jahr 2011.

„Ab dem Jahr 2013 änderte das Unternehmen seine Linie und kehrte zu den Repressalien gegen die kleinbäuerlichen Familien zurück“, erzählt Martin Mayr. Er ist ein österreichischer Entwicklungshelfer von Horizont 3000, der seit 2005 mit den betroffenen Gemeinschaften in Verbindung ist und ihren Widerstand gegen den Großgrundbesitzer Estrondo unterstützt.

Antônio Batista Gomes © Christina Schroeder / SWM

„Bewaffnete Männer sind mit Motorrädern gekommen und haben uns bedroht – verbal, aber auch körperlich. Sie haben manchen in die Füße geschossen!“, schildert Antônio Batista Gomes die Jahre der Unsicherheit. „Wenn wir mit unseren Herden unterwegs waren, haben sie uns umzingelt und sogar festgehalten in ihren Wachposten, die sie rund um unser Land aufgestellt hatten“, so der heute 83-Jährige.

„2018 hatten wir schließlich sogar Angst, aus dem Haus zu gehen. Wir fürchteten ständig, dass wer verschwindet“, erinnert sich Community Nurse da Silva Gomes, die im Verband mit den anderen betroffenen Gemeinden der Region gegen Estrondo ankämpfte.

Abkommen erreicht. Schließlich konnte auch internationale Aufmerksamkeit erreicht werden: „Wir gewannen große Organisationen wie Greenpeace und WWF für eine Kampagne gegen Estrondo“, sagt Mayr.

Mit Erfolg: 2022 wurde die verbindliche Anerkennung der Territorial-Rechte der Gemeinden durchgesetzt, der Estrondo-Konzern und die Gemeinden sollen das Abkommen unterzeichnen.

„Es ist nicht alles perfekt, aber es sind uns immerhin 77.000 Hektar als Eigentum zugesprochen worden. Ich glaube, dass so unser Leben wieder gut wird und auch unsere Kinder hier bleiben können“, hofft der betagte Batista Gomes.

Wie es um die Zukunft der Soja-Farmen steht, ist hingegen nicht klar. Eine Gruppe internationaler Wissenschafter:innen hat errechnet, dass durch die Erhitzung des Klimas bis 2050 im Cerrado mit Produktionsrückgängen von bis zu 26 Prozent gerechnet werden kann, wenn die Industrie so weiterwächst wie bisher.

Auf der Webseite von Estrondo gibt man sich ausdrücklich stolz darauf, Teil des agrarischen Wachstums des Bundesstaates Bahía zu sein. Die Zeichen stehen heute auf Expansion.

„Weil der Boden durch die extensive Nutzung vertrocknet und gleichzeitig der Niederschlag sinkt, graben sich Unternehmen wie Estrondo selbst das Wasser ab! Will heißen, in 30 Jahren wird sich diese Produktion für sie nicht mehr rentieren“, prognostiziert auch der Agraringenieur Abner Mares Costa, der schon seit vielen Jahren in der Gegend tätig ist, die Zukunft des grünen Meeres. Für das Ökosystem des Cerrado und seine Biodiversität könnte es dann schon zu spät sein.

Die Recherche für diesen Beitrag fand im Rahmen einer Pressereise statt, die von der deutschen Christlichen Initiative Romero im Zuge des EU-Projekts „Our Food. Our Future“ organisiert wurde.

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